Môtiers-La Brévine

Von Môtiers nach La Brévine

26. Juli 2019

Der Frühstückstisch ist um halb acht Uhr schon schön gedeckt und für jedes liegt ein Gipfeli auf dem Teller. Ilona wuselt zwar noch herum, aber ihr Stellvertreter steht in den Startlöchern, um uns frischen Kaffee und Tee zu servieren. So haben wir keinen Stress und es reicht uns spielend auf den 8 Uhr 39 Zug nach Couvet. Ilona hat uns erklärt, wo wir dort den Denner finden, um noch Früchte und Brötchen einzukaufen.

Bereits nach den letzten Häusern nimmt uns bereits wieder der Wald auf und sein kühler Schatten stimmt etwas versöhnlich, weil der Tag bereits wieder mit einem Aufstieg beginnt. Bald haben wir ein weisses Felsband erreicht, welches sich weit ausladend wie ein Dach über den Wanderweg neigt, den Corridor aux Loups. Auf trockenen Pfoten konnten hier die Wölfe über den Berg schleichen und heute hat man für die Zweibeiner zur Sicherheit sogar Ketten als Handläufe montiert. Manchmal muss man sogar den Kopf etwas einziehen und an einer kritischen Stelle kontrolliert ein dicker Baum, der satt an die Felswand lehnt den Durchgang. Er lässt nur knapp soviel Platz frei, dass auch Knud durch diese Öse passt. Alles was wir vorher rauf sind, müssen wir nun wieder über viele Treppenstufen runter bis zum Bach, aber dieses Fels-Erlebnis hätte ich nicht missen wollen.

Fröhlich geht’s weiter durch den Wald, bis der Weg wiederum einen Hang erklettert und ich meine Dampfwalze auf kurzer Distanz diese 140 Höhenmeter ebenfalls dort hinaufschieben muss.

Den Hügelkamm erreicht, hat man nun schon fast Sichtkontakt mit unserem ersten Ziel heute und Esti kann auch Funkkontakt aufnehmen mit Hans, der zusammen mit Katrin von Basel her unterwegs ist, um mit uns den geheimnisvollen unterirdischen Gletscher zu erforschen. Er hat den Rucksack voll Steigeisen mitgebracht und die Zeit passt genau, dass wir uns bei der Postautohaltestelle treffen können. Es wäre nur noch ein kleines Stück über eine Weide, auf welcher aber Kühe am Fressen sind und so müssen wir bei La Roche auf der Strasse bleiben. Esti und Herbert gehen voraus, während wir die Abkürzung dem Waldweg entlang nehmen und bei der Wegkreuzung aufeinander warten.

Bis zur Glacière de Monlési geht’s gemeinsam die letzte Viertelstunde durch einen fast malerischen Weidewald. Vielleicht ist es eher eine Waldwiese mit schönen Tannen versetzt, welche ihre Äste bis zum Boden ausbreiten können, so, wie man es eben im Jura antreffen kann. Von Weitem kann man nicht erkennen, dass hier zwischen den Tannen versteckt, ein fast abenteuerlicher Ort darauf wartet, von uns entdeckt zu werden. Eine Informationstafel mit dem Naturschutzsymbol weist darauf hin, dass es hier zum Kantonalen Biotop Eishöhle Monlési geht und versucht zu erklären, wie dieser Gletscher in dieser Kaltluftfalle entstehen konnte.

Ein fast unauffälliger Stacheldraht grenzt mehrere Löcher im Boden ein. Das grösste ist ein fast runder Schacht, etwa 18 Meter breit und gut 20 Meter tief und die einzige Möglichkeit, zum Gletscher zu kommen.

Nach dem Weidezaun-Durchgang wird klar auf die Absturzgefahr in unmittelbarer Nähe der Eingangsschächte und am Gletscherrand in der Höhle hingewiesen und dass die Begehung der Eishöhle auf eigene Gefahr erfolgt.

Zur Ausrüstung seien Helm, zuverlässige Beleuchtung, warme Kleidung, Steigeisen und Seile unbedingt nötig.

Der Abstieg windet sich fast wie ein Teil einer Wendeltreppe dem Fels entlang hinunter in die Tiefe. Ein neues, zuverlässiges Drahtseil verleiht einem sicheren Halt. Obwohl zuerst Picknickzeit angesagt ist, kann ich nicht anders, als zusammen mit den Neugierigsten vorher noch schnell nur einen kurzen Blick von dem kleinen Balkon zu werfen, der sich auf halber Höhe im Eingangsschacht befindet. Von dort geht es über eine Leiter noch weiter hinunter bis aufs Eis, aber man merkt bereits hier, dass man sich in den Schlund eines Tiefkühlers begibt.

All der Gefahren, die dort unten lauern, deutlich bewusst geworden, hat meine Abenteuerlust nun doch einen echten Dämpfer erhalten und ich bin mir nicht sicher, ob ich es immer noch wagen will. Am Montag beim Aufstieg habe ich auch meine Grenzen gespürt und gestern realisiert, dass meine Beine nicht mehr so funktionieren, um sie problemlos über die untere Schwelle eines Weidezaun-Durchgangs zu hieven. Ich bin vielleicht jetzt halt doch zu alt.

Diese meine Bedenken stimmen Hans förmlich enttäuscht. Jetzt hat er extra so viele Steigeisen in seinem Rucksack mitgenommen, wie er auftreiben konnte und hat daran schwer getragen. Auf der andern Seite kann ich mir selber fast nicht vorstellen, dass ich einer so geheimnisvollen Höhle einfach nur in den Schlund sehe und nicht selber hineinkriechen muss. Ich, die ich von mir behaupte, in einem nächsten Leben bestimmt ein Speläologe sein werde.

Und prompt bin ich wieder eine der Ersten, die Hans nun nach dem Essen auch über die Leiter hinunter auf den Grund des Schachts folgen, wo er auf dem Schnee vom letzten Winter die verschiedenen Steigeisen anzupassen beginnt. Wie in einen halbgeöffneten Mund geht es von hier bereits auf blankem Eis noch etwas hinunter, hinein in die Eishöhle, in welcher man mächtige Eiszapfen erkennen kann, die aussehen wie das Halszäpfchen in einem richtigen Mund. Jetzt hat sie mich überredet, die Höhle und da Hans eben ein für mich passendes Steigeisen in der Hand hält, lasse ich mir dieses montieren. Überrascht von dem perfekten, sicheren Halt draussen auf dem Schnee, muss ich es nun auch auf dem blanken Eis probieren und nun hält mich ausser den sicheren Eisen nichts und niemand mehr. Das Licht meiner Super-Stirnlampe vermag die halbe Höhle auszuleuchten und es offenbaren sich uns noch mehr Halszäpfchen und eisige Stalaktiten, welche aus steinernen Nasenhöhlen herunterhängen und mit dem Gletschereis verbunden zu Säulen geworden sind. Beim Eingang kann man gut aufrecht stehen, aber an manchen Orten tropft es mehr, sodass das Eis dort fast bis zur Decke reicht. Auf der Erkundungstour muss man schon auf seinen Kopf aufpassen, aber bald steht man wieder aufrecht und kann sogar durch einen anderen Schacht das Tageslicht sehen. Sicher ist hier auch einer der gefährlichen Orte, wo man mit Steinschlag rechnen muss. Hier ist schon ein ganzer Baumstamm herunter gekommen.

Das Gefühl mit den Steigeisen ist gut und es scheint, dass die Oberfläche des Eises doch ein klein wenig weicher ist als es Hans das letzte Mal erlebt hat. Ich fühle mich sicher und die Angst über den Rand des Eises in die Spalte zwischen der Felswand zu rutschen, ist weit weg.

Total begeistert vom Erlebnis taucht man aus der eisigen Unterwelt wieder ans Tageslicht und oben in die brütende Sommerhitze ein. Als letztes Nervenkitzel führt uns Esti oben über das Höhlengebiet, wo wir einem Weg folgen, der auf einer schmalen Felsbrücke direkt zwischen zwei Schächten hindurchführt, wo man in die Finsternis hinunter schauen kann. Doch auf der Suche zum Wanderweg geht‘s nur wieder unter der Stacheldrahtumzäunung hinaus.

Es hat sich in der Zwischenzeit sogar ein Gewitter formiert, aber es droht nur mit einzelnen, riesigen Regentropfen, welche die Luft noch schwüler machen, bevor sich alles wieder in Nichts auflöst.

Zum Glück geht unser Weg durch den Wald weiter und es scheint, dass uns noch ein letzter Hügel im Weg liegt, bevor wir im versprochenen lieblichen See unsere heissen Füsse abkühlen können. Hans und Katrin sind heute Nachmittag auch mit uns mitgewandert, weil sie über La Brévine auch noch eine gute Verbindung nach Hause herausgefunden haben und so können sie ebenfalls von einer erholsamen Rast am Lac des Taillères profitieren.

Ich bin wiederum gerne bei jenen, welche die beiden bis La Brévine im Postauto begleiten. Es ist auch hier, im Schweizerischen Sibirien immer noch heiss und die um 17 Uhr von Meteo Schweiz offiziell gemessene Temperatur von +28° prangt an der Digitalanzeige am Haus der Wetterstation.

Im Hotel au Loup Blanc haben wir heute Zimmer für unsere letzte Übernachtung reserviert. Esti, Maria und ich teilen uns ein Dreierzimmer unter dem Dach. Von den beiden Dachfenstern lässt sich nur eins öffnen, das andere lässt sich nicht arretieren. Kleiderbügel als Stütze helfen der Sache aber ab, dass man wenigstens ein bisschen Luftzirkulation ins Zimmer bekommt.

Im Kamin hat der Wirt als Vorbereitung für seine berühmten Entrecôtes double vom Holzkohlengrill bereits ein Feuer angezündet. Draussen wird es inzwischen immer dunkler und dann bricht ein Donnerwetter los. Bis wir hinaufgestürmt sind um die Fenster zu schliessen, haben es bereits ein paar Hagelkörnen bis auf mein Bett geschafft. Es ist ja gut, dass es Wasser gibt und es ist auch sehr gut, dass es gewartet hat, bis wir angekommen sind, denn nun können wir uns genüsslich unserem Fleisch widmen und stressen höchstens den Wirt noch damit, weil man seins entweder saignant mit Pfeffersauce oder saignant mit Buttersauce oder dann à point mit dieser oder dann mit der andern Sauce haben möchte. Die Fleischstücke sind riesig und zwei bekommen immer je eine Hälfte.