Vuiteboeuf-Chasseron

Von Vuiteboeuf bis auf den Chasseron

24. Juli 2019

Neun Begleiter haben sich enthusiastisch bei Esti für die diesjährige Sommerwanderung durch den Jura angemeldet, aber bereits in Basel kommt Katrin mit dem Hund nur zum Adé Winken, weil eine Entzündung im Bauch ihr die Teilnahme vergällt. Bis Olten sind Herbert, Klaus, Esti und ich noch zu viert. Ab Olten sollten Hedy von Oberentfelden und Maria aus Rothenturm im Zug sein und in Biel dann Priska aus Kleinlützel und Knud und Lykke-Lise, gestern aus Dänemark eingeflogen, vom Hölzlirank in Bärschwil zu uns stossen. Bis wir uns aber alle gefunden haben, müssen wir in Yverdon-les-Bains bereits den Zug-Ersatz-Bus nach Vuiteboeuf suchen. Ob der Grund für die Bauarbeiten auch von der Hitze verbogene Schienen sind, wie man dieser Tage überall hört, entzieht sich meiner Kenntnis. Tatsache ist, dass der Wetterbericht für die nächsten Tage neue Hitzerekorde voraussagt.

Der Jura ist für fast alle von uns ein ziemlich unbekanntes Wandergebiet und Vuiteboeuf musste ich sogar der Schalterbeamtin zuerst buchstabieren, bevor sie mir das Billet ausdrucken konnte. Es liegt am Rand einer weiten Ebene mit vielen, frisch abgeernteten Kornfeldern und die goldenen Traktoreier aus Stroh werden von der Sommerhitze ausgebrütet.

Die Kirche und ein paar Häuser drängen sich dicht zusammen am Fusse des ersten Jurahöhenzugs unter kalkigen Felswänden am Eingang zu einer Schlucht. Gnädig empfangen uns direkt nach dem letzten Haus die Gorges de Cavatanne auf bewaldetem Wanderweg in ihrem Schatten. Langsam aber stetig steigt der Weg bergan und schon bald rauscht das Wasser des Arnons tief unten im engen und ausgeschliffenen Felsenspalt. Dann haben wir aber doch seine Sprungschanze erreicht und ein Weilchen plätschert er friedlich auf fast gleicher Höhe neben uns her.

Von seiner kühlenden Nähe wollen wir für unsere Mittagspause profitieren und Esti lenkt ihre und unsere Schritte mitten ins Bachbett, wo wir auf bemoosten Steinen unser Picknick abhalten.

Weiter oben hat sich das Wasser wieder eine tiefe Schlucht in den hellen Kalkstein genagt und wir müssen diese Höhendifferenz stetig ansteigend auf dem schmalen, manchmal in die Felswand gehauenen Pfad in der Hitze erkeuchen. Was immer das Wässerchen weiter oben benagt hat, dort wo es sich nicht so gestresst fühlt, polstert es sich sein Bett mit Ablagerungen aus und ich beneide es fast um diese Rutschbahnen aus Tuff oder Sinter, auf welchen es über viele Kaskaden sprudelt.

Es widerstrebt einem fast, den Waldweg zu verlassen, aber zum Glück ist La Villette wirklich ein kleines Dorf und der Weg verschwindet immerhin wieder im Schatten von Bäumen, aber es sind immer noch zweihundert Höhenmeter auf Zickzackweglein zu erpusten, bis wir Les Rasses erreicht haben. Die Vorstellung von einem herrlichen Coupe dort im Grandhotel hält meinen Überlebenswillen bei der Stange. Für mich ist es nun endgültig entschieden, dass ich vom Angebot des Alpentaxis für die restlichen 500 Meter Gebrauch machen werde. Die Hitze zeigt mir heute deutlich meine Grenzen und hält mir hämisch mein Alter vor.

Les Rasses breitet sich auf einem Bödeli über dem eben bezwungenen ersten Jurahöhenzug aus und ein Blick hinunter, von wo wir gekommen sind, erheischt gerade Ahh und Ohh. Hab ich schon mal gesehen von der Vue des Alpes aus! Aber heute verliert sich der Blick weit über dem Wadtland im Dunst des Horizonts. Nichts vom majestätischen Saum der Alpenkette, welcher hier über alles schweben sollte.

Aber total glücklich, es nun doch bis hierher geschafft zu haben, wird nun erst mal der Durst gelöscht. Ich fühle mich richtig ausgedörrt und dehydriert. Die Temperatur beträgt hier um 36 Grad und daheim in Basel soll sie beinahe vierzig sein.

Esti hat schon von Vuiteboeuf aus mit dem Taxi verhandelt und der will uns um drei Uhr abholen. Lykke-Lise, Knud und Klaus helfen mir, den Rest des Aufstiegs zu überwinden. Beladen mit allen neun Rucksäcken im Auto, überholen wir bald die ihrer Last entledigten, schon fast leichtfüssig davondüsenden Kameraden. Für Taxis und Hotelgäste gilt glaub das Fahrverbot nicht auf dieser katastrophalen Bergstrasse. Wir werden bis ganz vor die Haustüre chauffiert und können dort im Vorraum unser Bagage deponieren.

Zimmerbeziehen wollen wir erst, wenn alle da sind und noch mehr als alles andere reizt jetzt trotz allem der Triangulationspunkt auf dem Gipfel. Es sind nur noch etwa dreissig Höhenmeter und ohne Rucksack am Buckel schafft man dies geradezu leichtfüssig. Ziemlich senkrecht bis fast überhängend fällt die Nordseite des Chasserons mit hohen Felsbändern ab und gibt den Blick Richtung Pontarlier über die nahe Schweizergrenze bis weit nach Frankreich frei. Der erste Gipfel auf unserer Wanderung und ich versuche gerade mein Glück, für Hans ein aktuelles Handyfoto der Gipfelstürmer mit dem PostCartCreator zu schicken.

Wieder zurück beim Hotel traue ich meinen Augen kaum – die andern fünf sind eben quietschvergnügt eingetroffen. Sie haben die Zeit von einer Stunde und 10 Minuten auf dem Wegweiser just eingehalten. Ohne Rucksack war‘s doch noch eine Erleichterung und die Hitze drückt immer noch. Mit Panaché und Cidre wird zuallererst nun der Flüssigkeitsbedarf wieder aufgefüllt und dann noch nachgeschaut, was es sonst noch so ‚ums Hus ume‘ zu sehen gibt. Die Aussicht vom Zimmer ist fantastisch. Über den Balcon du Jura hinweg, wo sich Sainte Croix und Les Rasses auf etwa 1000 Metern ausbreiten, sieht man das Ende des Neuenburgersees mit Yverdon und dahinter ins Freiburger- und Wadtland, wo der Horizont im weissen Dunst verschwindet, ohne die Silhouetten der Alpen mit ihren Spitzen aus ewigem Schnee zu enthüllen.

Hinter dem Haus kündet ein Wegweiser in ein paar Schritten den „Pierre de la Paix“, den Friedensstein an. Er soll dort auf dem Plateau des Chasserons einen Kraftort markieren. Neugierig gehe ich auf die Suche und bald liegt dieser grosse, ovale Granitstein in der glänzenden Abendsonne verlassen auf einer Wiese vor mir. Die Symbole der verschiedenen Religionen sind auf seiner fast glattgeschliffenen Oberfläche zu sehen. Selber bin ich wohl zu unsensibel, auf dass ich hier bei diesem irgendwelche wundersamen Dinge spüren könnte. Gemäss einem Touristenpro-spekt sollen sich hier drei geomantische Kraftlinien kreuzen, welche bei der Messung Energien von bis zu 70‘000 Bovis-Einheiten verströmen. Fast elektrisierend mutet mich allerdings das Bild der vielen ‚Chutzbuebe‘ der Schwefelanemonen im Gegenlicht der Abendsonne an. Silbrig glänzen ihre wirren Wuschelköpfe, als ob sie diejenigen wären, welche die hiesigen Energieströme kurzschliessen würden.

Eigentlich hat Esti hier für uns zwei Vierer- und ein Zweierzimmer bestellt, aber da wir nun nur neun sind würde uns der Wirt gerne ein Sechser- und ein Viererzimmer geben, damit er das Zweierzimmer einem Hochzeitspaar überlassen kann. Klar doch, ist für uns auch recht, nur stellt es sich dann beim Apéro heraus, dass Knud und Lykke-Lise, für welche das Zweierzimmer vorgesehen gewesen wäre, heute ebenfalls ihren Hochzeitstag feiern, den 47sten und uns deshalb heute zum Anstossen ein Glas Wein offerieren.

Fondue au Mauler, Spezialität des Hauses steht auf der Speisekarte. Wer‘s kennt, weiss dass Mauler ein Schaumwein ist, also ein Sekt-Fondue – bei dieser Hitze? Das überlassen wir den andern! Für uns gibt’s anderes Währschaftes: Croûte au fromage oder Tomme poêlée, paniert und gebraten auf Rösti, genau recht nach unseren Anstrengungen.

Dass in unserer Gruppe nun ebenfalls ein Paar seinen Hochzeitstag feiert ist durchgesickert und das andere Paar, das seinen 27. Jahrestag feiert, spendiert uns den Kaffee nach dem Essen. Der Wirt selber doppelt gerade nach und kredenzt uns allen zum Abschluss einen Limoncello, weil wir unser Zweierzimmer abgetreten haben.

Draussen wird der Himmel langsam stimmungsvoll und so vertagen wir das Zahlen auf nachher und stürmen nochmals hinauf zum höchsten Punkt, von wo wir uns mit einem weiten Rundumblick über Berge und Tal von diesem schönen, aber heissen Tag verabschieden.